Am Ende der Philipp-Melanchton-Straße in Amberg hat sich eine kleine Trauergesellschaft versammelt. Vier Gemeindemitglieder schieben den Sarg des Verstorbenen. Dahinter geht der Rabbiner. Gemeinsam betreten sie den jüdischen Friedhof. Die Trauernden beten Psalm 91: "Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg." Es ist das traditionelle Eingangsgebet für die jüdische Beerdigung. Mehrmals stoppt die Trauergesellschaft auf dem kurzen Weg zum Grab. Dann zerreißen die engsten Angehörigen am Grab ihre Kleider. Diese werden vorher eingeschnitten, so dass Pullover oder T-Shirt bis über das Herz gerissen werden können.
"Müssen es annehmen"
Üblicherweise würden jüdische Beerdigungen in Amberg so ablaufen, erklärt Rabbiner Elias Dray. Er kennt die Bräuche, war zehn Jahre in Israel und betreut seit August 2013 die etwa 120 Gläubigen der israelitischen Kultusgemeinde Ambergs. Vier bis fünf Beerdigungen gebe es pro Jahr, sagt der Rabbi. "Wir haben viele alte Mitglieder." Die würdige Beerdigung sei im Judentum eines der wichtigsten Gebote (Mizwa). Die meisten Juden in seiner Gemeinde seien auch gläubig und kämen mindestens zu den großen Feiertagen in die Synagoge.
Bei einer jüdischen Beerdigung gelten andere Regeln als bei einer christlichen. Die Trauernden sollen sich etwa auf dem Friedhof oder vor dem Grab nicht die Hand geben und den Friedhof auf einem anderen Weg verlassen, als auf dem sie hinein gekommen sind. Als Nicht-Jude könne man immer an der Beerdigung teilnehmen. Man müsse nur daran denken, auf dem Friedhof die traditionelle religiöse Kopfbedeckung Kippa zu tragen. "Sie können auch eine Trauerrede halten", sagt der Rabbi.
"Der Ewige hat gegeben, der Ewige hat genommen, der Name des Ewigen sei gepriesen", beten die Trauernden dann laut Dray am Grab. Es ist das Ziduk-Hadin-Gebet über die Gerechtigkeit Gottes und im Judentum sehr wichtig. "Darin steht: Gott herrscht auf der Welt, er tötet, belebt, wer kann ihm sagen, was er tun soll? Sogar bei der Beerdigung, bei der wir so einen großen Schmerz haben, erklären wir trotzdem, dass Gott gerecht ist, und was er gemacht hat, gerecht ist, und wir dürfen darüber nicht urteilen, sondern müssen es annehmen".
Nach den Trauerreden bitten die Anwesenden Gott im Gebet um die Aufnahme der Seele des Verstorbenen. Dann beginnt das eigentliche Begräbnis. German Djanatliev und der Nürnberger Rabbiner Shimon Grossberg erklären in einem Handbuch der Israelitischen Kultusgemeinde, wie es weitergeht: Der einfache Holzsarg wird zunächst vom Rabbiner symbolisch überhäuft. Dann stößt er die Schaufel in die Erde. Ihm folgen die Mitglieder der Familie, danach die anderen Trauernden. Sie alle nehmen die Schaufel, werfen Erde auf das Grab und stecken sie wieder in den Boden. Der Tradition nach soll keiner dem anderen die Schaufel in die Hand geben, denn das würde bedeuten, den Nächsten aufzufordern, diese traurige Handlung zu vollziehen. Dann wird das Grab von der dafür beauftragten Trauergesellschaft der Gemeinde zugeschaufelt.
Die Trauernden können als Zeichen ihrer Anteilnahme auch noch einen Stein an den Rand des Grabs legen. Blumen sind bei der Beerdigung eigentlich nicht vorgesehen. "Dem Toten helfen gute Taten und Wohltätigkeit", sagt Dray. "Blumen wären so, als würden wir uns selber trösten. Wir glauben daran, dass man eigentlich am Jahrestag des Todes eines Angehörigen für Arme spendet, anstatt Blumen zu geben."
Bilder vom Reich der Toten und Fotos von Verstorbenen auf den Friedhöfen darzustellen, ist verboten. Die Regel geht auf das zweite Buch Mose (Vers 20, 4,5) zurück. Dort steht: "Du sollst dir kein Bild machen und keinerlei Gestalt von dem, was im Himmel oben oder im Wasser unter der Erde ist."
"Die Seele lebt weiter"
Nach dem Begräbnis wird laut Dray ein Psalm und erneut ein Gebet über die Gerechtigkeit Gottes (Kaddisch) gesprochen. Die Trauerfeier endet mit einer Bitte um Vergebung bei Gott und dem Toten, falls die Trauernden eine Tradition vergessen, oder etwas falsch gemacht haben. Danach geht die Gemeinschaft auseinander. Einen Leichenschmaus wie in christlicher Tradition gibt es im Judentum nicht. "Was man macht, ist, dass jemand der Familie eine Mahlzeit vorbereitet", erläutert Dray.
Im Judentum ist stattdessen eine Trauerzeit vorgesehen: Sie dauert beim Verlust enger Verwandter 30 Tage. In dieser Zeit scheren sich die Angehörigen nicht Haupt- und Barthaare, veranstalten und besuchen keine Feste und vermeiden es, Musik zu hören. "Viele Leute halten die Trauerzeit ein, auch wenn sie nicht religiös sind", sagt Dray. Der Glaube helfe, den Verlust zu verarbeiten: "Wir sagen. Die Person geht in eine andere Welt. Ihre Seele lebt weiter. Das ist kein Abschied für die Ewigkeit. Das macht es leichter."
Einäscherung ist bei den Juden strengstens verboten. "Der Körper ist ein Geschenk, das Gott uns gegeben hat. Wir glauben an die Wiederbelebung der Toten", erläutert Rabbiner Elias Dray. Deshalb bestehe ein Grab auf ewig. "In diesem Zusammenhang sprechen wir gerade mit der Stadt, weil wir unseren Friedhof erweitern müssen." (dko)















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