Gradeaus im Takt marschieren, im exakt rechten Winkel abbiegen und alles wieder von vorne. Im höfischen Leben des 19. Jahrhunderts ist selbst der allerkleinste Schritt genormt. Auch für Leonce und Lena. Die vorgezeichneten Pfade ihrer Zukunft schrecken die beiden Königskinder, auf die eine arrangierte Ehe miteinander wartet. Beide fliehen mit ihren jeweiligen Vertrauten.
Regisseur Kay Neumann hat in seiner mit viel Applaus bedachten Inszenierung von Georg Büchners "Leonce und Lena" für das Theater Hof sichtlich die zynische Weltsicht des Autors aufgesogen. Mit bis hin zur Künstlichkeit überzeichneten Nebenfiguren, den wiederholten pythonesken "Silly Walks" (albernen Gängen) und reduzierten Kulissen schafft er Raum für die vier lebensechten Protagonisten und die Wortgewalt des Freidenkers. Die einzige Komödie in Büchners kurzem Leben wird bei der Premiere am Samstag zu einem Staccato an eloquenten Dialogen, kunstvollen Wortspielen und bösen Spitzen gegen die verknöcherte Obrigkeit. Gegen Aristokraten, die Dekadenz zum Talent erheben, an Selbstmord denken, weil die Situation passt, oder in sinnentleerten Gesprächen ihr Dasein beklagen. Besonders Leonce-Begleiter Valerio (Dominique Bals glänzt als urkomischer Hippie-Lebenskünstler) und Lenas patente Gouvernante (stark: Anja Stange) tun sich hierbei hervor.
Trotz oder gerade wegen all des Spotts verkommt die zugrundeliegende Liebesgeschichte nicht zur Rahmenhandlung. Den mitgerissenen Zuschauer erfasst von Beginn an ein tiefer Eindruck der Poesie und Melancholie, obwohl die strenge Interpretation des Stoffs ihm sowie Leonce und Lena nur einen kurzen, aber ungeheuer romantischen Moment gönnt. Als die beiden sich nachts unerkannt fast wie in einer Traumsequenz treffen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Marina Schmitz verkörpert die nach Emanzipation strebende Prinzessin ebenso authentisch wie Jannik Rodenwaldt den bornierten Prinzen. Beide finden die Balance zwischen Identitätssuche, Trotz und der wachsenden Angst, so zu werden wie ihre Eltern.
Neumanns Bearbeitung in modernisierter Sprache ist wegen seiner Gradlinigkeit und Konsequenz unbedingt sehenswert. Selbst die anonyme Hochzeit, durch die Valerio eine vermeintlich unstandesgemäße Verbindung erzwingen will, wird völlig entromantisiert. Mit ihren Masken wirken die Liebenden wie Plastikfiguren. Projektionsflächen einer Welt, in die sie hineingeboren wurden. Sie tun letztlich freiwillig das, wozu sie gezwungen werden sollten. Als der Schleier fällt, scheint jeder bekommen zu haben, was er wollte. Nur Lena fühlt sich betrogen. Alle marschieren wieder in ihren gewohnten Bahnen. Nur Valerio und die Gouvernante brechen aus - und tanzen.













Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.